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Expertenkommission legt Abschlussbericht zur Reform des Strafprozessrechts vor

Die Expertenkommission zur Reform des Strafprozessrechts hat am 13.10.2015 im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz ihren Abschlussbericht an Bundesminister Heiko Maas (SPD) übergeben. Der Bericht enthält 50 Empfehlungen für eine effektivere und praxistauglichere Ausgestaltung des Strafverfahrens.

Den Bericht der Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des allgemeinen Strafverfahrens und des jugendgerichtlichen Verfahrens, den Anlagenband I - Gutachten und den Anlagenband II – Protokolle, finden sie auf den Internetseiten des Bundesministeriums der Justiz als pdf-Dateien hinterlegt.

Hintergrund

Die schwarz-rote Koalition hatte im Koalitionsvertrag vereinbart, das Strafverfahren unter Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze effektiver und praxistauglicher auszugestalten.

Dazu trat von Juli 2014 bis September 2015 eine Expertenkommission aus Vertretern der Wissenschaft, der juristischen Praxis sowie aus der Justizverwaltung zusammen und erarbeitete ihre Vorschläge frei von inhaltlichen Vorgaben. In dem nun vorgelegten Abschlussbericht werden 50 Empfehlungen für ein effektiveres Strafverfahren ausgeführt, im Wesentlichen durch Beschleunigungen und Vereinfachungen des Verfahrens.

Wesentliche Empfehlungen für das Ermittlungsverfahren

Zentrale Empfehlungen sind

  • die Einräumung eines Anwesenheits- und Fragerechts des Verteidigers bei polizeilichen Beschuldigtenvernehmungen, Tatortrekonstruktionen und Gegenüberstellungen mit dem Beschuldigten,
  • ein Antragsrecht des Beschuldigten auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Ermittlungsverfahren
  • die Einführung einer Erscheinenspflicht von Zeugen bei polizeilicher Vernehmung, wenn der Ladung ein einzelfallbezogener Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde liegt und
  • die regelmäßige audiovisuelle Aufzeichnung von Beschuldigten- und Zeugenvernehmungen bei schweren Tatvorwürfen oder bei schwieriger Sach- oder Rechtslage.

Es soll eine gesetzliche Grundlage für den Einsatz der Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ, z.B. durch Aufspielen eines Trojaners auf das Handy des Verdächtigen) und von V-Personen und auch für eine ausdrückliche gesetzliche Regelung des Verbots der Tatprovokation geschaffen werden. Das Zwischenverfahren bei Land- und Oberlandesgerichten soll mit dem Ziel der Vermeidung oder Entlastung der Hauptverhandlung gestärkt werden.

Wesentliche Empfehlungen für das Hauptverfahren

Für die Hauptverhandlung schlägt die Kommission u.a. die Einführung der Möglichkeit einer Eröffnungserklärung der Verteidigung nach Verlesung der Anklageschrift vor. Ferner soll fakultativ eine audiovisuelle Dokumentation einzelner Vernehmungen vor dem Amtsgericht sowie eine eine obligatorische audiovisuelle Dokumentation der gesamten erstinstanzlichen Hauptverhandlungen vor dem LG und OLG eingeführt werden. Damit soll allerdings keine Erweiterung der Revisionsmöglichkeiten verbunden sein.

Kurzbewertung

Die Vorschläge zur Aufwertung des Ermittlungsverfahrens, auch durch die Stärkung der Mitgestaltungsmöglichkeiten des Beschuldigten und seiner Verteidigung, verdienen uneingeschränkte Zustimmung. Sie tragen dazu bei, die bisher eher passive Rolle des Beschuldigten zu überwinden und damit ein tragfähigeres und ausgewogeneres Ermittlungsergebnis zu gewinnen. Sie sollten bald in eine Gesetzesinitiative einfließen. Zu begrüßen sind auch Empfehlungen zur Begrenzung heimlicher und täuschender Ermittlungsmethoden (Quellen-TKÜ, V-Mann-Einsatz, Tatprovokation). Die Detailvorschläge zur Straffung des Hauptverfahrens entziehen sich erfreulicherweise dem Versuch, durch Beschneidung der Beschuldigtenrechte den Weg zum "schnellen Urteil" zu eröffnen. Nicht die Beschuldigtenrechte stehen einem praktikablen Prozess entgegen: Es sind die außerordentlich komplexen Sachverhalts- und Rechtsfragen und die völlig unzureichende personelle Ausstattung der Justiz. (Rechtsanwalt Reinhard Daum)