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Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung in Kraft - nach Ansicht der Bundesrechtsanwaltskammer verfassungswidrig

Nach jahrelangem Streit und gegen den scharfen Protest von Opposition und Datenschützern hat der Bundestag am 14.10.2015 eine Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung beschlossen. Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 6.11.2015 seine Zustimmung erteilt (einen Antrag auf Einberufung des Vermittlungsausschusses nicht gestellt). Das Gesetz ist nach Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt zum 18.12.2015 in Kraft getreten.

Telekommunikationsdaten werden für zehn Wochen aufbewahrt, damit Ermittler bei der Bekämpfung von Terror und schweren Verbrechen darauf zugreifen können. Den Gesetzentwurf (BT-Drs. 18/5088) finden Sie auf der Internetseite des Bundestags hier, die Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt hier.

Zehnwöchige Speicherung von IP-Adressen und vierwöchige Speicherung von Standortdaten bei Handy-Gesprächen

Telekommunikationsanbieter müssen die IP-Adressen von Computern und Verbindungsdaten zu Telefongesprächen zweieinhalb Monate aufbewahren. Standortdaten bei Handy-Gesprächen werden vier Wochen gespeichert, Daten zum E-Mail-Verkehr nicht. Die Telekommunikationsfirmen müssen bei der Speicherung Sicherheitsvorkehrungen einhalten, dazu einen Server im Inland benutzen und die Daten nach Ablauf der vier beziehungsweise zehn Wochen unverzüglich löschen. Andernfalls droht ein Bußgeld.

Nutzung für Verfolgung bestimmter schwerer Straftaten

Die Behörden dürfen die Daten nur zur Verfolgung bestimmter schwerer Straftaten nutzen – etwa bei der Bildung terroristischer Gruppen, Mord oder sexuellem Missbrauch. Den Abruf der Informationen muss ein Richter erlauben. Die Daten von Berufsgeheimnisträgern – etwa Rechtsanwälten, Ärzten, Abgeordneten oder Journalisten – dürfen nicht verwertet werden. Kommunikationsinhalte sollen nicht erfasst werden. Nach Recherchen von Datenschützern aus dem Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung speichern Telekommunikationsfirmen allerdings üblicherweise auch die Inhalte von SMS. Die Aktivisten befürchten einen Missbrauch dieser Daten. Vorgesehen ist auch eine Regelung, die den Handel mit gestohlenen Daten unterbinden soll. Nach drei Jahren soll die Praxis der Vorratsdatenspeicherung evaluiert werden.

Neue Regelungen auch in der SPD umstritten

43 Abgeordnete der SPD stimmten im Bundestag gegen das neue Gesetz, 7 SPD - Abgeordnete enthielten sich. Auch Justizminister Heiko Maas (SPD) hatte sich lange gegen ein neues Gesetzesvorhaben zur Vorratsdatenspeicherung gesperrt und erst auf Drängen seines Parteichefs Sigmar Gabriel den Entwurf für eine Neuregelung vorgelegt. Maas verteidigte diese nun als verhältnismäßig und rechtlich einwandfrei: Im Gegensatz zur früheren Regelung würden weniger Daten gespeichert, sie würden kürzer aufbewahrt, und es gebe hohe Hürden für den Zugriff.

Deutsche Vorgängerregelungen aus 2007 für verfassungswidrig erklärt, auch über das neue Gesetz muss Karlsruhe entscheiden

Die Vorratsdatenspeicherung ist seit Jahren hoch umstritten. Der Europäische Gerichtshof hatte die EU-weiten Vorgaben dazu 2014 gekippt – wegen Verstößen gegen Grundrechte. In Deutschland gibt es schon seit Jahren kein Gesetz mehr dazu. Das Bundesverfassungsgericht hatte die deutschen Regelungen durch Urteil vom 2. März 2010 für verfassungswidrig erklärt. Linke, Grüne, Piraten, FDP und Netzaktivisten halten auch die jetzt vorgesehenen Regelungen für verfassungswidrig und unverhältnismäßig. Inzwischen liegen beim Bundesverfassungsgericht vier Verfassungsbeschwerden vor.

Bundesrechtsanwaltskammer hält das Gesetz für verfassungswidrig und forderte den Bundespräsidenten vergeblich auf, das Gesetz nicht auszufertigen.

Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) hält das neue Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig und hatte sich deshalb an den Bundespräsidenten mit der Bitte gewandt, das Gesetz nicht auszufertigen. Die Neuregelung ist aus Sicht der BRAK verfassungswidrig, weil sie vorsieht, dass auch die Standort- und Verkehrsdaten von Berufsgeheimnisträgern und damit auch von Rechtsanwälten gespeichert werden.

In ihrer Presseerklärung Nr. 19 v. 10.11.2015 teilte die Bundesrechtsanwaltskammer mit:

Nachdem am vergangenen Freitag das Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist den Bundesrat passierte, hat sich jetzt der Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer Ekkehart Schäfer an den Bundespräsident gewandt. In einem Schreiben bittet er das Staatsoberhaupt, das Gesetz nicht auszufertigen. Die Neuregelung ist aus Sicht der Anwaltsvertretung verfassungswidrig, weil sie vorsieht, dass auch die Standort- und Verkehrsdaten von Berufsgeheimnisträgern und damit Rechtsanwälten gespeichert werden.

BRAK Präsident Ekkehart Schäfer dazu: „Sowohl Bundesverfassungsgericht als auch der Gerichtshof der Europäischen Union haben der anlasslosen Speicherung von Verkehrsdaten von Berufsgeheimnisträgern klare Grenzen gesetzt. Auch wenn die Daten letztendlich nicht an die Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet werden dürfen, betrifft allein die Tatsache, dass jemand mit einem Rechtsanwalt kommuniziert hat, die anwaltliche Verschwiegenheit. Damit widerspricht die Speicherung dem verfassungsrechtlichen Gebot, das Verhältnis zwischen dem rechtsuchenden Bürger und dem Beistand und Schutz gewährenden Strafverteidiger und Rechtsanwalt unbeobachtet und unangetastet zu lassen."

Im dem Brief wendet sich Schäfer gegen die in der Begründung zum Gesetzentwurf enthaltenen Behauptung, dass es unmöglich sei, Telekommunikationsanschlüsse von Rechtsanwälten zu identifizieren und sie von vornherein aus der Speicherpflicht herauszunehmen. Eine solche Identifizierung sei den verpflichteten Telekommunikationsanbietern genauso gut möglich wie bei den von der Speicherpflicht ausgenommenen Seelsorge- und Notrufeinrichtungen, heißt es von der BRAK. So wäre es beispielsweise durchaus möglich, die Daten aus dem Bundesweiten Amtlichen Anwaltsverzeichnis mit denen der Telekommunikationsanbieter abzugleichen.

(Stand 11.02.2016)